Warum ich nach Leipzig soll?
Was wir uns von dem geplanten bundesweiten Treffen der
Abschiebehaftgruppen und in Abschiebehaft tätiger Personen
erhoffen
- Politische Bedeutung der Abschiebehaft
Abschiebehaft ist eine der extremsten Auswüchse der bundesdeutschen
Anti-Flüchtlingspolitik: sowohl in der Auswirkung für die Betroffenen
als auch in der Wirkungsmacht für die beteiligten Behörden. Auch ist
der propagandistische Effekt der Abschiebehaft - die Stigmatisierung der
Flüchtlinge innerhalb der Öffentlichkeit und die abschreckende
Wirkung auf alle (potententiellen) Flüchtlinge und MigrantInnen - nicht zu
vernachlässigen. Deswegen halten wir die Arbeit gegen die Abschiebehaft
für einen wichtigen Bestandteil antirassistischer Arbeit. Obwohl dies so
ist, gibt es keine kontinuierliche Zusammenarbeit und inhaltlichen Austausch
zwischen den wenigen bestehenden Abschiebehaftgruppen. Es gab zwar vor Jahren
Treffen der Abschiebehaftgruppen, allerdings sind diese aus uns nicht bekannten
Gründen ca. 1996 eingeschlafen.
- Vernetzung auf Länderebene versus bundesweite Vernetzung
Obwohl der Vollzug der Abschiebehaft in die Hoheit der Länder fällt,
halten wir eine bundesweite Vernetzung (neben einer zum Teil bestehenden
Vernetzung innerhalb der Bundesländer) für notwendig. Zum einen gibt
es in etlichen Bundesländern nur eine oder wenige Abschiebehaftgruppen
(z.B. in Sachsen nur eine Gruppe; in Thüringen gibt es eine
Abschiebehaftanstalt und keine Gruppe; selbst in NRW, dem Vorreiterland in
Sachen Abschiebehaft, wurden in den letzten Jahren 6 von 8
Abschiebehaftanstalten geschlossen), zum anderen messen wir dem Vollzug der
Abschiebehaft im Vergleich zu der Tatsache, daß es überhaupt
Abschiebehaft gibt, keine so große Bedeutung bei. Darüberhinaus ist
selbst bei der konkreten Auseinandersetzung über Haftbedingungen, der
Arbeit der Ausländerbehörde etc. ein Austausch über die
Ländergrenzen hinweg sinnvoll. Wir denken, daß, wer
grundsätzlich gegen Abschiebehaft vorgehen will, dies auf
bundespolitischer Ebene tun muß. Dies ist natürlich auch vor dem
Hintergrund wichtig, daß die meisten Abschiebehaftgruppen kaum in der
Lage sind, über ihre konkrete Arbeit hinaus, politische Initiativen und
somit eine Wirksamkeit in der Öffentlichkeit zu entfalten.
- eigene Vernetzung versus Integration in bestehende Netzwerke
Die bestehenden bundesweiten antirassistischen Strukturen haben sich unsere
Einschätzung nach in den letzten Jahren nur unzureichend mit dem Thema
Abschiebehaft beschäftigt. Dies liegt u.a. natürlich auch daran,
daß die einzelnen Abschiebehaftgruppen unterschiedlich in die Strukturen
eingebunden sind oder eben nicht. So hat die Abschiebehaftgruppe Leipzig
über ihren Status als Arbeitsgruppe des Flüchtlingsrates Leipzig e.V.
eher einen Bezug zu Pro Asyl, dem bundesweiten Zusammenschluß der
Flüchtlingsräte, während andere Abschiebehaftgruppen eher im
Netzwerk von "kein mensch ist illegal" angesiedelt sind. Wir denken, daß
über bestehende Differenzen hinweg - die natürlich ersteinmal zu
bestimmen und auszudiskutieren wären - eine Zusammenarbeit der
Abschiebehaftgruppen möglich und sinnvoll ist, es aber illusionär
wäre, dies jetzt an Pro Asyl oder kmii abzuschieben.
- Positionsbestimmung für die Arbeit in der Abschiebehaft
Die Arbeit in der Abschiebehaft, die Sand im Getriebe sein will, gerät
schnell in die Gefahr, zu Öl zu werden. So bleibt z.B. von unserer
(Abschiebehaftgruppe Leipzig) Ausgangspostion, die ersatzlose Abschaffung der
Abschiebehaft zu fordern, in der praktischen Arbeit nicht viel übrig,
besonders wenn mensch selbst erlebt und auch von der Anstaltsleitung
erfährt, daß die eigene Arbeit von Behördenseite geschätzt
wird, da sie die Situation im Gefängnis entschärfen würde. Die
Besuche in der Abschiebehaft können angesichts der asyl- und
ausländerpolitischen Bedingungen oft nicht mehr sein, als
sozialarbeiterische Hilfestellungen für Menschen in einer Notlage. Wir
denken, daß gerade am Beispiel Abschiebehaft das Dilemma
antirassistischer Arbeit, die sich in die karitative Einzelfallhilfe begibt,
deutlich wird. Vor diesem Hintergrund finden wir es wichtig, mit anderen
Abschiebehaftgruppen über ihren politischen Anspruch und dessen Umsetzung
in der Realität zu diskutieren.
- Effektivierung der Öffentlichkeitsarbeit/politischen Arbeit
Gerade das Versinken in der Einzelfallhilfe führt oft dazu, daß der
eigentliche Anspruch, etwas gegen Abschiebehaft zu tun, auch bei den Gruppen
selbst zunehmend in den Hintergrund gerät. Wir denken, daß eine
bundesweite Vernetzung diesem in vielfacher Hinsicht entgegenwirken
könnte. Zum einen können aktuelle Entwicklungen im gemeinsamen
Austausch besser erkannt und analysiert werden - die Vorraussetzung für
angemessene Reaktionen. Außerdem zwingt die Vernetzung, sich
überhaupt inhaltlich mit dem Thema auseinanderzusetzen. Eine
Arbeitsteilung zwischen den Gruppen kann darüberhinaus dazu beitragen,
Sachen zu schaffen, die vorher aus Zeitgründen nicht möglich waren.
Wir denken da an die Öffentlichkeitsarbeit, an die Vorbereitung von
Aktionen uvm. Aber auch für die Einzelfallhilfe ist ein Austausch von
großer Bedeutung, sei es, um sich über juristische Fragen, über
Besuchsbedingungen in den verschiedenen Städten, die argumentativ für
die eigene Arbeit verwandt werden können, oder über Tips & Tricks
zur "Gefangenenbefreiung" auszutauschen...
Positionspapier von der Leipziger Vorbereitungsgruppe (innerhalb der
Abschiebehaftgruppe Leipzig)
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