Kampf dem rassistischen und sexistischen Normalzustand! Widerstand ist nötig!
Aufruf zur bundesweiten Demonstration gegen den Frauenabschiebeknast in Neuss am 12. Juni um 12 Uhr
In Neuss (NRW) befindet sich seit 1993 der bundesweit einzige
Frauenabschiebeknast. Eingeführt unter einer SPD-Landesregierung, die in
Sachen Abschiebung und Abschiebeknäste Vorbild für die anderen
Bundesländer war, hat sich daran auch unter rot-grüner Herrschaft
erwartungsgemäß nichts geändert.
Der Knast befindet sich mitten in der Stadt Neuss, wenig spektakulär und
unauffällig. Zwischen 70 und 90 Frauen sind hier in Zweier- und
Sechserzellen eingesperrt, oft Frauen unterschiedlicher Herkunft in einer
Zelle, so daß eine Verständigung schwierig ist. Die medizinische
Versorgung ist unzulänglich und wird nur durch einen männlichen
Sanitäter erbracht, die Frauen haben keinen freien Zugang zu Telefonen und
Besuche sind stark eingeschränkt. Meist ohne Informationen über ihr
Verfahren und ihre Rechte ist für sie die Dauer der Haft, an deren Ende in
der Regel die Abschiebung steht, nicht absehbar. Zur Zeit sind überwiegend
Frauen aus Osteuropa, zur Hälfte aus der ehemaligen Sowjetunion
inhaftiert, aber auch aus einigen afrikanischen Ländern wie Ghana und
Nigeria, aus Syrien, der Türkei und Tunesien, aus Thailand und Lateinamerika.
Aus eigenem Entschluß und/oder gezwungenermaßen haben sie ihr
Zuhause, ihren Sprachraum und ihre Freunde und Familien verlassen. Sie sind
geflohen vor Kriegen und geschlechtsspezifischer Armut (Frauen leisten weltweit
2/3 der gesellschaftlich notwendigen Arbeit, erhalten aber nur 10% des
Welteinkommens und 1% des Weltvermögens, arbeiten meist in
ungesicherten Arbeitsverhältnissen), aber auch vor Verfolgung wegen
eigener politischer Aktivitäten und Widerstands. Sie haben Arbeit,
ökonomische und politische Sicherheit gesucht. Sie sind als Ehefrauen
deutscher oder in Deutschland aufenthaltsberechtigter Männer gekommen. Sie
haben die Kraft und den Mut aufgebracht, sich gegen Angriffe auf ihre
körperliche Unversehrtheit und ihr Selbstbestimmungsrecht als Frau, wie
Zwangsheirat, Genitalverstümmelung, Lesbenverfolgung, Berufsverbote und Kleidervorschriften zu wehren und zu fliehen.
Doch auch hier ist das Leben vieler Migrantinnen durch ein spezifisches
Zusammenwirken von Rassismus, Sexismus und Ausbeutung gekennzeichnet. Das
beginnt damit, daß sie zunehmend gezwungen sind, illegal in die
abgeschottete BRD einzureisen. Dabei sind sie auf Fluchthelfer angewiesen, mit
dem Risiko, von diesen finanziell und auch sexuell ausgenutzt zu werden. Es
setzt sich fort in einer Asylpraxis, die Frauen in der Regel nicht als
asylberechtigt anerkennt, da ihre Fluchtgründe ignoriert und
entpolitisiert werden. Kommen Migrantinnen als Ehefrauen, sind sie in
höchstem Maße dem Ehemann ausgeliefert, da ihr Aufenthaltsrecht über Jahre von ihm abhängt.
Flüchtlingsfrauen werden per Gesetz gezwungen, in Lagern und
Sammelunterkünften zu leben, was die Gefahr sexueller Belästigung
erhöht. Haben sie Familie, so sind es in der Regel sie, die mit einem
für Flüchtlinge massiv gekürzten Sozialhilfesatz oder z.B.
Essenspaketen die Versorgung von Ehemann und Kindern hinkriegen müssen.
Die rigide gesetzliche Einschränkung der Arbeitsmöglichkeiten von
Migrantinnen läßt den Frauen häufig nur die Möglichkeit,
illegal und/oder unter extremen Ausbeutungs- und
Abhängigkeitsbedingungen zu arbeiten. Für viele Frauen ist die Arbeit
als Prostituierte oft die einzige Möglichkeit des Geldverdienens.
Auf Ämtern, bei Polizei und Justiz müssen Migrantinnen immer mit
rassistischen/sexistischen Schikanen und Demütigungen rechnen. Wenn sie
sich zur Wehr setzen, haben sie nicht nur die staatliche Gewalt gegen sich.
Denunziation und nachfolgende Abschiebung haben sich bewährt, um
illegalisierte Migrantinnen, die nicht nach Belieben des Chefs oder der Chefin
arbeiten wollen, Sexarbeiterinnen, die sich weigern, nach den Regeln des
Geschäfts zu funktionieren, oder Ehefrauen, die sich gegen ihren Mann wehren, elegant loszuwerden.
Wir fordern deshalb:- Eigenständiges Aufenthaltsrecht für Flüchtlingsfrauen und Migrantinnen
- Anerkennung sexistischer Verfolgung und sexualisierter Gewalt als Asylgrund
Die rassistischen und sexistischen Gewaltverhältnisse durchdringen alle
gesellschaftlichen Bereiche und Zusammenhänge, die eigenen eingeschlossen.
Jeder und jede Deutsche kennt das: Die putzende Schwarze in der
U-Bahn, die philippinische Schönheit an der Seite eines
deutschen Mannes in den besten Jahren, die Sexanzeigen in der Zeitung und
daß bei Schulzes ne Polin putzt, soll studiert sein, was mit
Kunst. Migrantinnen ständig in solchen Positionen
wahrzunehmen, prägt auf die Dauer den Blick: Eine schwarze Busfahrerin
oder eine Romafrau hinter dem Bankschalter würden auffallen, eine putzende Ausländerin erstaunt niemanden.
Die alltägliche Erfahrung, Migrantinnen vor allem da anzutreffen, wo es
darum geht, deutschen Dreck wegzumachen oder deutschen Männern zur
Verfügung zu stehen, entwickelt und verstärkt den Sexismus/Rassismus
in den Köpfen: Daß Ausländer sich das gefallen lassen
(müssen) und man das alles mit (zumindest manchen) Frauen
machen kann, bewirkt nämlich zweierlei: Zum einen werden die Bilder
von eigener Überlegenheit gegenüber Schwarzen/Frauen als soziale
Erfahrung bestätigt. Zum anderen bieten sich für alle immer mehr
Möglichkeiten, die Unterdrückung und Ausbeutbarkeit von Migrantinnen
auch persönlich immer selbstverständlicher zu nutzen. So wird es
immer normaler, daß Leute mit etwas mehr Geld eine
zuverlässige Ausländerin als Putzhilfe haben, daß
Alternativbetriebe AusländerInnen als günstige Aushilfskräfte benutzen...
Auch wenn Migrantinnen oft darauf angewiesen sind, auf diese Weise Geld zu
verdienen, so ist die Aussage die sind doch froh, ein paar Mark zu
verdienen zynisch und verdeutlicht nur die Verinnerlichung der
zugrundeliegenden Ausbeutungsverhältnisse.
Die Allgegenwärtigkeit dieser Bilder und Erfahrungen untergräbt
Vorstellungen von einem Leben gemeinsam mit anderen, ohne Unterdrückung
und Ausbeutung. Auch deshalb ist aktive Solidarität mit Migrantinnen und
eine entschiedene Politik gegen die herrschenden Gewaltverhältnisse gefordert.
Die gemischtgeschlechtlichen antirassistischen Gruppen haben die spezifische
Situation von Flüchtlingsfrauen und Migrantinnen bisher kaum wahrgenommen,
wenn dann meist nur als politische Pflichtübung. Erfolgreich
konnte so die ansonsten erforderliche Diskussion über das Zusammenwirken
von staatlicher Gewalt, Rassismus und Sexismus vermieden werden. Im Kampf gegen
Staat und aggressiven Rassismus wurde die direkte und strukturelle
Unterdrückung von Frauen wieder einmal ignoriert.
Vor diesem Hintergrund fordern wir daher insbesondere von den Männern,
sich in diese Auseinandersetzung zu begeben und daraus auch Konsequenzen für ihr Verhalten auf der Demo zu ziehen.
Wir rufen in diesem Jahr zu einer bundesweiten Demonstration gegen den
Frauenabschiebeknast in Neuss auf, um den Frauen dort unsere Solidarität und Verbundenheit zu zeigen.
Wir rufen dazu auf, gegen die rassistischen und sexistischen
Gewaltverhältnisse in Gesellschaft und Staat zu demonstrieren. Laut, entschieden und phantasievoll!
- Kampf dem rassistischen und sexistischen Normalzustand!
- Weg mit allen Sondergesetzen gegen MigrantInnen und Flüchtlinge!
- Schluß mit Abschiebungen!
- Weg mit den Abschiebeknästen!
- Grenzen auf für alle!
Es wird auf der Demo einen Frauen/Lesben-Block geben! Es ruft auf: Vorbereitungsplenum Demo Neuss
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