Die Abschiebehaftgruppe beim Flüchtlingsrat Leipzig
Momentan arbeiten zwischen 5 und 6 Personen aktiv bei der Abschiebehaftgruppe
(AHG) mit, die 1995 gegründet wurde. Generell ist die Fluktuation
der aktiven Mitglieder sehr hoch. Eine Zeitlang, besonders in der Anfangsphase,
engagierten sich hauptsächlich Studen-tInnen. Heute arbeiten verschiedenste
Leute mit, Andreas seit 1995, Holger und Christine seit etwa ½
Jahr, Barbara schon etwas länger. Stephan hat schon länger
Kontakt zum Flüchtlingsrat. Seine Arbeit in der AHG be-gann jedoch
erst, als es so aussah, dass die Gefängnis-arbeit der Gruppe aufhören
würde.
Aus welcher Motivation heraus begründet sich euer En-gagement
und eure Mitarbeit in der AHG?
Stephan: Für die Leute, die im Gefängnis sind, muss
ein Außenkontakt gewährleistet sein. Das ist ein Minimum was
geboten werden muss und darauf kann man nicht verzichten.
Barbara: Abschiebehaft ist generell eine Schweinerei. Da werden
Menschen weggesperrt und von allem ferngehalten - und zu welchen Bedingungen.
Hier in Leipzig ist es sicherlich extrem, da es keine reine Abschiebehaft
gibt. Die Haftbedingungen sind wie in U-Haft, also deutlich härter
und schlimmer als in Strafhaft.
Andreas: Für die Gründung der AHG gab es 1995 zwei
Hauptmotivationen. Einerseits war der Flüchtlingsrat daran interessiert,
Flüchtlinge in allen Lebenslagen zu unterstützen, also auch die,
die sich in Abschiebehaft befanden. Des weiteren gab es Leute aus antirassistischen
Gruppen, die einen eher politischen Anspruch hatten. Den Ausschlag für
ein Zusammenkommen gaben dann Veröffentlichungen in der Presse über
Abschiebehaft, Aufstände von Abschiebehaftgefangenen und andere Informationen.
Das betraf aber vor allem westliche Städte. Über Leipzig war
nichts bekannt. Der Ausgangspunkt war jetzt, dass man zuerst Informationen
über die Zustände vor Ort sammelt, um dann gegen Abschiebehaft
argumentieren und vorgehen zu können.
Woher nehmt ihr das Wissen über juristische Handhabe, Ausländerrecht
usw.?
Barbara: Das kommt durch Erfahrung und Lesen.
Stephan: In der Anwendung kommt dann dieser " ach-so-war-das-"-Effekt.
Andreas: Am Anfang gab es organisierte Versuche für Wissensvermittlung.
Wir haben erfahrene Leute eingeladen um Seminare durchzuführen, aber
die Fluktuation war zu hoch. Wir selbst haben auch Workshops gemacht,
um neue Mitglieder in die Materie einzuführen, allerdings gab es das
jetzt schon länger nicht mehr.
Gibt es dann konkrete Ansprechpartner für euch? Rechtsanwälte?
Holger: Es gibt schon Ansprechpartner, aber zu wenig konkrete.
Stephan: Es gibt kompetente Leute, allerdings nicht immer nur
Rechtsanwälte. Ich persönlich bin begeistert von der FFM (Forschungsstelle
Flucht und Migration) in Berlin.
Barbara: Die konkrete Hilfe vor Ort bei speziellen Fragen ist
schon ein Problem.
Die Gründung der AHG war also eine Reaktion auf Abschiebepraxis
auch in Leipziger Gefängnissen, wovon die Öffentlichkeit nichts
wußte. Wie sieht es mit Öffentlichkeitsarbeit im Moment aus?
Andreas: Das Problem bei unserer Arbeit, sowohl was das Herstellen
einer größeren Öffentlichkeit angeht, als auch was die
Verwirklichung eines größeren politischen Anspruchs betrifft,
ist eher praktischer Natur. Man versackt einfach in Arbeit - Behördenanrufe,
Kontakte mit Rechtsanwälten und den Abschiebehäftlingen.
Außerdem gab es in dieser Gruppe wenig Diskussion um eine mögliche
politische Richtung. Es gab Öffentlichkeitsarbeit, die sich an ein
interessiertes Publikum richtet, aber kaum Presseerklärungen. Wir
haben vor drei Jahren die Ausstellung "Abschiebehaft in Sachsen" erstellt,
die auch in vielen Städten Sachsens gezeigt wurde. Dazu gibt es auch
eine Broschüre. Damit haben wir vielleicht ein größeres
‘Publikum' erreicht.
Waren jemals Berichte über konkrete Fälle aus dem Gefängnis
in den Medien?
Andreas: Ja, und zwar bei solchen Fällen, wo Behörden
eindeutig gegen ihre eigenen Gesetze verstoßen haben. Abschiebehaft
als solche wurde jedoch nicht angeprangert.
Stephan: Es gibt viel zu wenig Berichte. Die Zustände im
Gefängnis sind skandalös, und wir werden von den Gefangenen aufgefordert
als Sprachrohr an die Öffentlichkeit zu treten. Die Gefangenen selbst
wollen die Zustände und ihre Situation anprangern, haben aber natürlich
keine Möglichkeit dazu. Wir schaffen das leider im Moment auch nicht.
Die Situation ist einfach skandalös. Es gibt genügend
Tote und Hungerstreikende. Die Leute verstümmeln sich selbst nur um
Zeichen zu setzten. Das diese Zeichen nicht für die Zellenwärter
sind sondern nach außen dringen sollen, ist klar.
Welche Reaktionen im eurem persönlichen Umfeld gibt es auf eure
Arbeit?
Stephan: Es ist bekannt, dass die Zustände skandalös
sind. So im Detail, so schlimm stellen es sich die wenigsten vor. Die
wenigsten können glauben, das Deporta-tionen wieder deutsche Normen
sind.
Barbara: Bei Interessierten ist es bekannt. Normalerweise kommen
bei einem Gespräch diese drei Fragen: a) warum kümmerst du dich
um solche Leute; b) was sind das überhaupt für Fälle;
c) was hat derjenige gemacht, warum ist der in AH? Abschiebehaft als solche
wird nicht in Frage gestellt. Die übliche Meinung ist, dass keiner
eingesperrt wird, der nicht etwas verbockt hat.
Gibt es Versuche, die lokale Arbeit auszuweiten und mit anderen Gruppen
städteübergreifender zu agieren?
Andreas: Einige Versuche in Sachsen mit Leuten, auch Einzelpersonen
zusammenzuarbeiten, die mit AH zu tun haben, waren nicht unbedingt fruchtbar.
Wir sind die einzige AHG in Sachsen. Initiatoren für eine bundesweite
Vernetzung können wir nicht sein.
Stephan: Es gibt einige Treffen und Aktionen, an denen wir,
teilweise als Privatpersonen, teilnehmen.
Andreas: Wir als AHG unterstützen konkret die Aktionen
gegen die Abschiebeknäste in Büren und Neuss in den Diskussionen
und in der Vorbereitung.
Die lokale, momentane Betreuung ist das Wichtigste. Könnt ihr
etwas dazu sagen, wie viele Leute ihr im Moment treffen könnt und
welche Arbeit darüber hinaus entsteht?
Christine: Im Prinzip treffen wir 18 Leute, davon manche nur
alle zwei, drei Wochen, also nicht regelmäßig. Die Arbeit nimmt
ständig zu.
Barbara: Die Besuche in der JVA, einmal wöchentlich, sind
zeitlich erfassbar, aber das ist ja nicht alles. Wir müssen Besuchserlaubnisse
besorgen, stehen ständig im Kontakt zu Anwälten und auch dem
persönlichen Umfeld der Abschiebehäftlinge, z.B. kümmern
wir uns darum, dass jemand, der höchstwahrscheinlich bald abgeschoben
wird, seine persönlichen Sachen bekommt?
Stephan: Man muss auch den Anwälten ständig auf die
Füße treten und immer wieder nachhaken.
Wie ist die Zusammenarbeit mit der Ausländerbehörde?
Barbara: Der schlechte Kontakt zu Behörden liegt in der
Natur der Sache. Der politische Auftrag, Abschiebungen durchzuführen,
dem die Behörde eindeutig folgt, folgen wir natürlich nicht.
Es werden keine Wege für die Menschen gesucht. Solange Menschen hin-
und hergeschubst werden können, ist auch kein entsprechender Widerstand
möglich.
Stephan: Die Behörden üben zwar geltendes Recht aus,
aber oft mit einem großen vorauseilenden Gehorsam.
Barbara: Es gibt viele "kann"-Bestimmungen, und die werden oft
als "muss"-Bestimmungen ausgelegt. Manchmal kommen durchaus auch zynische
Kom-mentare.
Stephan: Teilweise steigert sich das in Gehässigkeit. Über
einen Mann in der Abschiebestation der Ausländerbehörde habe
ich erfahren, dass er "hobbymäßig" als Schnüffler und Denunziant
arbeitet. Er geht privat dem nach, inwieweit binationale Partnerschaften
wirklich zusammenleben.
Was kann man konkret für die Abschiebehäftlinge tun und
in welchem Rahmen?
Andreas: Unser Ziel ist natürlich, die Leute frei zu be-kommen,
nur das erreichen wir nie, oder ganz selten. Dann spielt natürlich,
obwohl wir das gar nicht an erster Stelle wollen, die ‘emotionale Hilfe'
eine große Rolle, der soziale Kontakt. Das verhindert nicht die Abschie-bung
und ist deswegen eigentlich kein Erfolg. Wir übernehmen oder organisieren
auch Dolmetscherarbeiten, besonders bei Spezialsprachen wie Kurdisch.
Ist es denn theoretisch möglich, Leute aus der AH frei zu bekommen?
Stephan: Es kommen Leute wieder raus, die einfach nicht abschiebbar
sind, deren Situation verfahren und katastrophal ist. Aber dass ist dann
nicht unser Erfolg.
Andreas: Ein bißchen können wir beeinflussen. Die
Gesetze gegenüber Flüchtlingen sind absolut restriktiv, aber
trotzdem gibt es gewisse Spielräume und zufällige Lücken
und Fehler, auf die wir aufmerksam machen können. Sobald Leute da
sind, die die Verfahren kritisch beobachten oder beispielsweise die Haftbeschlüsse
mitlesen, kann das von seiten der Behörden vielleicht bei 1% ein Einlenken
bewirken. Es gab Menschen, die wegen eines Zufalls frei gekommen sind,
und der Zufall ist erst durch unsere Hilfe eingetreten.
Stephan: Die Aufmerksamkeit zählt. Richtig helfen können
wir z.B., wenn Leute aus dem Gefängnis ihren Asylerstantrag stellen.
Das ist möglich aber nicht sehr chancenreich, wenn keine entsprechende
Betreuung oder Kontrolle da ist, die wir dann ansatzweise über-nehmen,
besonders, wenn es um Klagefristen, die ein-gehalten werden müssen,
usw. geht.
Vielen Dank für das Interview.
Das Interview wurde am 6. Juni 2000 mit fünf Mitgliedern der Abschiebehaftgruppe
geführt.
Das Interview führte Kristina Peuschel. Die vorliegende
Fassung wurde gekürzt.
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