SCHWERPUNKTTHEMA: Leben zwischen Rein und Raus
Menschen auf Eis gelegt
Probleme von Asylbewerbern und geduldeten Flüchtlingen, Bildung und
Arbeit zu erhalten
In Deutschland wird der Anteil der Flüchtlinge, die ohne festen Aufenthaltsstatus
(also mit Aufenthaltsgestattung, Duldung oder noch weniger) hier leben,
immer größer. Sie sollen doch froh sein, dass sie überhaupt
hier sein dürfen! Ein wenig von dieser Auffassung scheint hinter vielen
Maßnahmen zu stecken, die den Asylbewerbern die Einreise nach Deutschland
verwehren oder den Aufenthalt unattraktiv machen sollen. Aber soll das
wirklich alles für sie sein: der Verfolgung entronnen zu sein? Das
Leben geht weiter! Aber wie soll es weiter gehen, wenn man beruflich nahezu
chancenlos ist?
Shila, 26 Jahre alt, kommt aus Afghanistan. Dort hat sie nach 12 Jahren
Schule ihr Abitur gemacht. Seit über drei Jahren lebt sie in einem
Asylbewerberheim in Markkleeberg. Ihr Asylantrag wurde abgelehnt, denn
in Afghanistan gebe es keine zentrale Staatsgewalt und damit auch keine
politische Verfolgung. Nach einer Klage im Asylverfahren erhielt sie lediglich
nach § 53, Abs. 4 Ausländergesetz Schutz vor der Abschiebung,
weil diese gegen die Europäische Menschenrechtskonvention verstoßen
würde. Ihr Status bleibt damit aber dennoch auf dem Niveau einer Duldung.
Integrationshilfen sind ihr damit verwehrt: z.B. kein vom Arbeitsamt
geförderter Deutschkurs, keine Ausbildungsförderung nach BAFöG,
mit der sie ein Studium finanzieren könnte. Bis ihr Aufenthalt vielleicht
verfestigt ist, dürfte sie die Alters-grenze für BAFöG von
30 Jahren überschritten haben. Auch ohne BAFöG könnte sie
aber wahrscheinlich nicht studieren. Sie hatte zwar ein Zeugnis, das sie
in ihrem Land zum Studium berechtigte, aber erstens konnte sie dies nicht
mitbringen und kann es aufgrund der Kriegswirren auch nicht aus Afghanistan
beschaffen, und zweitens, selbst wenn sie das könnte, würde es
wahrscheinlich nicht als gleichwertig mit einem deutschen Abitur anerkannt.
(Dies ist bei den meisten Zeugnis-sen und Diplomen aus den Herkunftsländern
von Flüchtlingen der Fall.) Eine Lehre kann sie nicht absolvieren,
weil die eine Arbeitserlaubnis voraussetzt, die sie nicht hat. Aus dem
gleichen Grund kann sie auch nicht an Trainings- oder Qualifizierungsmaßnahmen
des Arbeitsamtes teilnehmen. Als einzige Möglichkeit bliebe der Besuch
einer berufsbildenden Vollzeitschule (Berufsfachschule). Für die ist
sie aber schon zu alt, und eine private ist außerdem zu teuer. Und
ohne Zeugnis geht es sowieso nicht.
So werden begabte, junge Menschen „auf Eis gelegt“. Shila hat schon
viele vergebliche Versuche hinter sich, ihre Ausbildung fortzusetzen.
Günstiger sieht es nur für minderjährige Ausländer
– auch Asylbewerber und Geduldete – aus. Jedes Kind und jeder Jugendliche
erhält eine Schullaufbahnberatung. Kinder werden in Vorbereitungsklassen
sprachlich und fachlich gefördert und anschließend in die Regelklassen
eingeschult. Dazu können sie auf Wunsch (und wenn sich genügend
(mindestens 10) Schüler finden, Unterricht in ihrer Muttersprache
erhalten. Diese kann auch als 2. Fremdsprache an weiterführenden Schulen
eingebracht werden. In Leipzig gibt es muttersprachlichen Unterricht bislang
in persisch, türkisch, vietnamesisch und arabisch. Und wer einen allgemeinbildenden
deutschen Schulabschluß hat, kann auch, wenn er mangels Arbeitserlaubnis
keine Lehre absolvieren kann, eine Ausbildung an einer Berufsfachschule
beginnen.
Die Probleme für Schulkinder von Asylbewerbern und Geduldeten
liegen eher auf der finanziellen Ebene. Während Kindern von Sozialhilfeempfängern
bei der Einschulung ein Bedarf von 150 DM und pro Schuljahr 50 DM zugestanden
werden, lautet die Anweisung des Regierungspräsidiums Leipzig für
Flüchtlingskinder: 70 DM bei der Einschulung, 30 DM bei Übergang
zur weiterführenden Schule und pro Schul-jahr 0 DM!
Dieter Karg / Bernd Knüfer
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Diese Seite wurde aktualisiert am 23.6.2020.