SCHWERPUNKTTHEMA: Leben zwischen Rein und Raus
Familientrennung als Rückkehranreiz?
Anträge auf Familienzusammenführung gefährden das Aufenthaltsrecht
Zugegeben: die Überschrift ist reißerisch formuliert. Aber wenn
man beobachtet, was im vergangenen Jahr mit Flüchtlingen geschehen
ist, die einen Antrag auf Familiennachzug stellten, kann man sich diese
Frage stellen. Wir haben in der vorletzten Ausgabe von „Flucht und Asyl“
über die Erschwerung der Familienzusammenführung bei als Flüchtlingen
anerkannten irakischen Kurden berichtet: wenn die Ehepartner verfälschte
Pässe hatten, wurde fast nie ein Ersatzpaß zur Ausreise ausgestellt.
Wer keine beglaubigten Eheurkunden vorweisen konnte, mußte sich einem
teuren Speicheltest unterziehen – ohne Garantie, danach ein Einreisevisum
zu erhalten. Das war der Stand vor einem Jahr.
Seitdem werden Anträge irakisch-kurdischer Familienangehöriger,
die diese z.B. von Syrien oder der Ukraine aus stellen (wohin sie vorläufig
geflüchtet sind), von den dortigen deut-schen Konsulaten grundsätzlich
nicht mehr bearbeitet. Die Leute werden an die für zuständig
erklärten Botschaften in der Türkei oder Jordanien verwiesen.
Also heißt es für die Betroffenen: wieder Geld für Flugtickets
kaufen, teils mit gefälschten Pässen in ein anderes Land weiterreisen
und dort die Prozedur von vorn beginnen.
Damit nicht genug: Auf Weisung des Bundesinnenministeriums wird nun
auch bei jedem Antrag eines irakischen Kurden auf Familienzusammenführung
geprüft, ob nicht ein Widerruf seiner Flüchtlingsanerkennung
in Frage komme. Dies wurde in der Folge auch bei anderen Nationalitäten
praktiziert: Vietnam, Togo, Kongo... Begründung: bevor ein Familiennachzug
genehmigt werden könne, müsse erst das Bleiberecht des hier lebenden
Angehörigen geprüft werden. Fast immer mit negativem Ausgang.
Folge: wer seine Familie zu sich und in Sicherheit bringen wollte, brachte
seinen eigenen Status in Gefahr.
Aber auch das war noch nicht alles. Ein ähnlicher Mechanismus
wurde bei nach Art 16a GG Asylberechtigten in Kraft gesetzt, die für
hier neu geborene Kinder einen Antrag auf Familienasyl stellten. Eigentlich
ist das nur ein formaler Akt, denn Angehörige von Asylberechtigten
erhalten ohne eigene Gründe ebenfalls Asyl. Der Bundesbeauftragte
für Asylangelegenheiten nahm dies aber in mehreren Fällen zum
Anlass, in einer Klage die frühere Anerkennung der „Stammberechtigten“
anzuzweifeln – eine Einladung an das Bundesamt, einen Widerruf in Erwägung
zu ziehen. In den meisten Fällen kann man die Betroffenen zwar letztlich
nicht abschieben, aber ihre Lebensperspektive in Deutschland verschlechtert
sich erheblich.
Für viele anerkannte Flüchtlinge speziell in Leipzig (vor
allem Iraner) kam noch eine „Hiobsbotschaft“ hinzu. Viele hatten sich eine
Arbeit gesucht, weil sie wußten: nur wer ausreichend Wohnraum vorweist
und nicht von Sozialhilfe lebt, kann seine Familie nachkommen lassen. Da
fügte es sich gut, dass Leipzig mit seinem „Betrieb für Beschäftigungsförderung“
(bfb) das größte Sozialunternehmen Deutschlands geschaffen hatte
mit dem Ziel, Menschen aus der Abhängigkeit von Sozialhilfe zu lösen.
„Arbeit statt Sozialhilfe“ lautete das Motto, unter dem Arbeitsplätze
auch für (nach § 51 AuslG anerkannte) Flücht-linge geschaffen
wurden. Seit Mitte vergangenen Jahres erleb-ten diese nun eine böse
Überraschung, als sie Anträge auf Familiennachzug stellten: diese
wurden nun abgelehnt mit der Begründung, sie lebten nicht unabhängig
von Sozialhilfe. Denn in ihrem Arbeitslohn sei die ganze Sozialhilfe enthalten.
Das ist zwar nirgendwo auf dem Gehaltszettel ausgewiesen, aber den Anteil
erhalte der bfb vom Sozialamt der Stadt Leipzig. „Aufge-flogen“ war die
Sache, als die Stadt ihrerseits wieder diesen Anteil vom Land Sachsen erstattet
haben wollte (dies ist bis zu zwei Jahren nach der Anerkennung möglich)
und daraufhin der Hinweis kam, dass in diesen Fällen kein Familiennachzug
möglich sei. Nun ist auch dieses „Loch gestopft“.
Die verzweifelten Flüchtlinge wenden sich an alle möglichen
Stellen. Aber rechtlich ist da vermutlich nichts zu machen, trotz Artikel
6 Grundgesetz: „Ehe und Familie stehen unter besonderem Schutz der staatlichen
Ordnung.“
Dieter Karg
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Diese Seite wurde aktualisiert am 23.6.2020.