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Nr. 13, Juli 2000 |
Sächsisches Staatsministerium des Innern
Herrn Minister Hardraht
01095 Dresden
Leistungsanspruch von Flüchtlingen nach § 2 Asylbewerberleistungsgesetz
(AsylbLG)
ab 01.06.2020
Sehr geehrter Herr Staatsminister,
der Flüchtlingsrat Leipzig tritt für ein menschenwürdiges und durch gerechte Bedingungen gekennzeich-netes Leben von Flüchtlingen in der Region Leipzig ein. Deshalb wenden wir uns mit folgendem Anliegen an Sie.
Seit 1. Juni 2000 besteht für Flüchtlinge, die die in §
2 AsylbLG genannten Voraussetzungen erfüllen, ein An-spruch auf Leistungen
entsprechend Bundessozialhilfegesetz (BSHG).
Dies betrifft Personen, „die über eine Dauer von insgesamt 36
Monaten ... Leistungen nach §§ 3 – 7 erhalten haben, wenn die
Ausreise nicht erfolgen kann und aufenthaltsbeendende Maßnahmen nicht
vollzogen werden können, weil humanitäre, rechtliche oder persönliche
Gründe oder das öffentliche Interesse ent-gegenstehen“ (§
2 Abs. 1 AsylbLG).
Hintergrund für diese Leistungsgewährung nach BSHG war für den Gesetzgeber 1997, dass nach dem Grundgesetz eine Reduzierung des Hilfeniveaus unter das Existenzminimum der Sozialhilfe allenfalls noch für eine Dauer von 36 Monaten hinnehmbar ist, eine längere Dauer mit dem Menschenwürdegrundsatz und dem Sozialstaatsprinzip jedoch nicht mehr vereinbar wäre.
Ein Anspruch entsprechend BSHG hinsichtlich der Hilfe zum Lebensunterhalt bedeutet, dass grundsätzlich Bargeldleistungen zu gewähren sind. Ausnahmen wie Sachleistungen sind gemäß BSHG nur in einem sehr engen Rahmen erlaubt.
Über die Form der Leistungen entscheidet „die zuständige Behörde ... aufgrund der örtlichen Umstände“ (§ 2 Abs. 2 AsylbLG). Die zuständigen Behörden für die Gewährung sämtlicher Leistungen nach dem AsylbLG sind die Landratsämter und Bürgermeisterämter der kreisfreien Städte (laut § 1 Abs. 3 der Verordnung Ihres Ministeriums zur Durchführung des AsylbLG vom 22.12.2020).
Laut Auskunft der Landratsämter der Kreise Leipziger Land und Delitzsch sowie der Stadt Leipzig wurde aber durch Weisungen Ihres Ministeriums festgelegt, dass Flüchtlinge in Gemeinschaftsunterkünften grundsätzlich Sachleistungen erhalten sollen und nur ausnahmsweise Leistungen in Geld. Dies bestätigt auch eine Pressenotiz der LVZ vom 24./25. Juni, in der Sie mit der Bemerkung zitiert werden: „Dadurch werde Sachsen für Wirtschaftsflüchtlinge unattraktiv“.
Als offizieller Grund für diese Anweisung wurde genannt, dass bei
der Gewährung von unterschiedlichen Leistungsformen innerhalb einer
Gemeinschaftsunterkunft der Hausfrieden gestört werde. Nach unserer
Einschätzung gibt es in der Region Leipzig dafür keine Anhaltspunkte.
Diese Auffassung wird auch von der Stadt Leipzig geteilt, die daher für
Bargeldzahlung an die jeweiligen Berechtigten eintritt.
Auch in den Jahren 1995 bis 1997, als auf Grund eines Gerichtsbeschlusses
des OVG Sachsen Bargeld an einen Teil der Bewohner ausgezahlt wurde, kam
es nach unserer Kenntnis zu keinen Auseinandersetzun-gen unter den Flüchtlingen
wegen unterschiedlicher Leistungen. Die gegenwärtigen Proteste der
Flüchtlin-ge richten sich auch nicht gegen eine differenzierte Leistungsgewährung,
sondern gegen das Festhalten des Freistaates Sachsen an Sachleistungen
für Personen, die länger als 3 Jahre hier sind.
Unsere bundesweite Nachfrage bei Flüchtlingsräten in der vergangenen Woche hat ergeben, dass im Ge-gensatz zu Ihrer Aussage in der o. g. Pressenotiz nicht nur in Sachsen-Anhalt, sondern auch in anderen Bundesländern (z.B. Hamburg) Bargeld gezahlt wird. In mehreren Bundesländern wird von den Innenmi-nisterien den zuständigen Behörden vor Ort die alleinige Entscheidung über die Form der Leistung überlas-sen.
Wir fragen Sie daher:
Halten Sie mit einer derartigen pauschalen Regelung die örtlichen
Umstände für berücksichtigt, die laut Gesetz die einzigen
Kriterien für die Form der Leistung sind?
Halten Sie es ferner mit der Würde eines Menschen vereinbar, ihm
auf Dauer (die bei nach § 53 AuslG ge-duldeten Personen meist unabsehbar
ist) den Rahmen der Gestaltung seiner ohnehin schon bescheidenen Lebensumstände
einzuengen?
In der gegenwärtigen Diskussion um den § 2 AsylbLG wurde bisher
nur auf die Frage Sachleistungen oder Bargeld eingegangen. Leistungen entsprechend
BSHG umfassen aber wesentlich mehr, z. B. eine über die Notversorgung
hinausgehende Krankenhilfe, Übernahme von Mietkosten und die Gewährung
von Mehrbe-darf an Alleinerziehende. Auch diese Leistungen werden den betreffenden
Flüchtlingen in der Region bis jetzt noch vorenthalten.
Als Leipzig Flüchtlingsrat fordern wir Sie auf, die o.g. Weisungen
zurückzunehmen und die Entscheidung über die Form der Leistung
nach BSHG den zuständigen Behörden vor Ort – den Landkreisen
und kreis-freien Städten – zu überlassen.
Wir bitten Sie um baldige Beantwortung der beiden von uns gestellten
Fragen und um Information über die weitere Verfahrensweise Ihres Ministeriums.
Mit freundlichen Grüßen
Gerd Klenk
Sprecher des Flüchtlingsrates Leipzig