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Nr. 13, Juli 2000 |
Gegen Ende des zweiten Weltkrieges und in den Jahren danach mussten
viele Deutsche ihre Heimat ver-lassen. So erinnere ich mich, dass meine
Eltern mit meiner Schwester und mir im Februar 1945 nach Delitzsch kamen
und dort bei einer alleinstehenden Dame in einem Zimmer von ca. 16 qm untergebracht
wurden. Dieses Zimmer war viele Monate für uns Küche, Aufenthaltsraum
und Schlafgelegenheit. Eine schwer durchzustehende Situation, aber sie
hatte ein Ende.
Heute denkt kaum jemand an diese schwierigen Jahre und vermutet auch
nicht, dass Menschen in Deutschland so eng zusammen leben müssen.
Aber es gibt derartige Verhältnisse noch. Sie betreffen wie damals
Flüchtlinge.
So leben im Asylbewerberheim Taucha etwa 16 Flücht-lingsfamilien
und ca. 170 Einzelpersonen. Die Familien wohnen zum Teil in einem Zimmer,
die Kinder können nur auf dem gemeinsamen Korridor oder im Freien
spielen. Alle Anträge, die Kinder wenigstens halbtags in einem Kindergarten
unterzubringen, scheiterten bisher, weil die Eltern nicht in der Lage sind,
den entsprechen-den Beitrag zu bezahlen, und weil das zuständige Land-ratsamt
in Delitzsch sich weigert, diese Kosten zu über-nehmen. Ein nach Auffassung
des Flüchtlingsrat ge-setzwidriges Verhalten! Durch Richtlinien des
Landes Sachsen ist ausdrücklich geregelt, dass auch für Kinder
von Asylbewerbern und geduldeten Flüchtlingen das Jugendamt den Elternanteil
übernehmen muss.
Durch Kontakte zwischen evangelischen Christen aus Taucha und den Heimbewohnern
wurde einigen Bürgern klar, unter welche bedrückenden Verhältnissen
die Asylbewerber leben müssen. Daraus entstanden Ideen zur Hilfe.
Nach einem Aufruf der evangelischen Gemeinde zur Nachbarschaftshilfe konnten
ab Dezember 1999 dreimal Sachspenden übergeben werden, zu-sätzlich
eine Geldspende zur Einrichtung eines gemein-samen Spielzimmers für
die Kinder. Ferner wandten sich Mitglieder der Gemeinde an die Heimleitung
und die Ausländerbehörde des Landkreises mit der Bitte um Einrichtung
eines Kinderzimmers im Heim.
Dem Engagement von Herrn Morteza Mostafavi, der selbst iranischer Asylbewerber
ist und sich mit diesem Anliegen an den Flüchtlingsrat gewandt hat,
ist es zu verdanken, dass die Eltern von 15 betroffenen Kindern am 16.12.2020
in einem Brief an den Leiter der Auslän-derbehörde um ein Spielzimmer
und die Einstellung ei-ner Erzieherin baten. Als besonders wichtiges Anliegen
hoben die Eltern darin die Vorbereitung ihrer Kinder auf den Schulbesuch
in Deutschland hervor, vor allem das Erlernen der deutschen Sprache.
Der Leiter der Ausländerbehörde, Herr Greulich, sagte in
seiner Antwort vom 13.01.2020 die Einrichtung des Raumes zu, gab aber bezüglich
der Einstellung der Erzieherin eine Absage. Dies war für den Ausländerbeauftragten
der katholischen Kirche in Leipzig (ebenfalls Mitglied des Flüchtlingsrats)
der Anlass, in der katholischen Gemeinde Taucha Helferinnen zu suchen,
die den Sprachunterricht übernehmen. Wiederum durch Herrn Mostafavi
angeregt, fanden sich auch auf evangelischer Seite Helferinnen für
die Betreuung im Spielzimmer.
Am 15. April übergab Herr Greulich das Spiel- und Unterrichtszimmer
den Eltern zur Nutzung. Sowohl die anwesenden künftigen Betreuerinnen
aus den Gemeinden als auch der Vertreter des Flüchtlingsrates lobten
die zweckmäßige und schöne Einrichtung des Raumes durch
die Heimleitung. Er ist untergliedert in einen Eingangsbereich mit Ablagefächern,
einen Unterrichtsraum mit Tafel, Tischen und Stühlen, eine Spielecke
mit zahlreichen Spielmaterialien und eine Ruhezone mit Matratzen.
Am 31. Mai hat die erste Betreuung durch die katholischen Helferinnen
im Asylbewerberheim begonnen. Der Schwerpunkt dieser Aktion, die bis zu
den großen Ferien einmal in der Woche stattfindet, ist die Vermittlung
deutscher Sprachkenntnisse. Die Eltern zeigen großes Interesse.,
die Kinder Begeisterung für diese Mischung aus Spiel und Unterricht.
Frau Lena El-Haj gilt der besondere Dank für ihre Sprachmittlung während
der Betreuung. In Kürze werden sich auch die evangelischen Helferinnen
beteiligen. Dadurch wird es möglich, eine Spielgruppe aus den kleinen
Kindern und ihren Müttern zu bilden.
Im Namen des Flüchtlingsrates Leipzig wünsche ich den Kindern
und allen Betreuerinnen ein gutes Gelingen.
Leonhard Brier