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Nr. 14, Dezember 2000 |
KOMMENTAR
Stellen Sie sich vor, Sie sind Flüchtling, und
Sie erhalten Ihren eigenen Brief...
Eine nicht abgeschickte Reaktion auf eine Antwort
des Referenten im Sächsischen Innenministerium
Sehr geehrter Herr Bannasch,
ich danke Ihnen dafür, dass Sie sich die Mühe gemacht haben,
auf den offenen Brief des Flüchtlingsrates Leipzig (veröffentlicht
in “Flucht und Asyl” Nr. 13) zu antworten. Dies zeugt immerhin davon, dass
Sie bereit sind, sich mit unseren Argumenten auseinander zu setzen. Mit
dem Inhalt Ihres Briefes bin ich allerdings ganz und gar nicht einverstanden.
Um Ihnen zu ver-deutlichen, was ich meine, muss ich leider “persönlich
werden” und Sie bitten, sich vorzustellen, Sie seien Flüchtling und
würden nun Ihren eigenen Brief lesen.
Stellen Sie sich also vor, Sie befinden sich einer Phase Ihres Lebens,
wo sich bei anderen die berufliche Karriere entfaltet. Sie aber dürfen
nicht arbeiten und leben seit drei Jahren auf 4,5 m² in einem Vierbettzimmer
in einem Wohncontainer. Sie haben keinen Privatbereich, in den Sie sich
zurückziehen können, Ihre Nachtruhe wird oft gestört. Verschmutzte
Gemeinschaftstoiletten und -duschen gehören zu Ihrem Alltag. Sprachkurse
und andere Maßnahmen, sich in Deutschland zurecht zu finden, sind
für Sie nicht vorgesehen. Sie dürfen nicht einmal selbst einkaufen.
Sie haben nur die kleine Hoffnung: dass wenigstens nach drei Jahren freies
Einkaufen möglich wird – ein Stück Selbstbestimmung. Drei Jahre
sind schließlich eine lange Zeit, und wenn Sie aus humanitären
Gründen nur geduldet werden, werden daraus leicht fünf oder acht
Jahre oder noch mehr. Und nun sollen Ihre Geldleistungen gerade einmal
von 80 auf 123,70 DM erhöht werden, und sonst bleibt fast alles beim
Alten. Und Sie müssen sich außerdem anhören, ein Hinweis
auf die Würde des Menschen sei in diesem Zusammenhang zu hoch gegriffen.
Wären Sie da nicht etwas ärgerlich? Zumal selbst Verfassungsrichter
sich annähernd in die Lage der Betroffenen versetzen konnten, als
sie mein-ten, eine Reduzierung des Hilfeniveaus unter das der Sozialhilfe
über drei Jahre hinaus sei nicht mehr mit dem Menschenwürdegrundsatz
vereinbar.
Sie wissen, dass im Asylbewerberleistungsgesetz steht, dass die Leistungen
nach drei Jahren dem BSHG entsprechen sollen. Nur auf Grund (besonderer)
örtlicher Umstände könne die Form der Leistung eine andere
sein als Bargeld. Und nun erfahren Sie, dass in Sachsen landesweit besondere
Umstände herrschen sollen, die Bargeld unmöglich machen. Ob diese
Umstände wirklich herrschen, wird nicht geprüft, sondern einfach
behauptet. Und die Behörde, die über die örtlichen Umstände
entscheiden will, ist eine überörtliche Landesbehörde. Wenn
Sie jetzt protestieren, bekommen Sie zu hören, im AsylbLG seien aber
Sachleistungen die Regel, und dies würde weiter gelten. Nur die Höhe
der Leistungen solle dem BSHG entsprechen. Noch nicht einmal das tun
sie! – wollen Sie ärgerlich rufen.
Die Produkte in Ihrem Paket oder Magazin sind wesentlich teurer (mindestens
20 - 30%) als in einem Supermarkt); darüber hinaus werden Ihnen überhöhte Abzüge
abgerechnet: z.B. 45 DM im Monat für "Verbrauchsgüter" (im Wesentlichen
Reinigungsmittel und Toilettenpapier, wer gibt tatsächlich so viel
für diese Zwecke aus?). Wie kann man dann behaupten, die Höhe
der Leistungen sei gleich? Von Sozialhilfeempfängern wird erwartet,
dass sie Sonderangebote nutzen, und Sie werden gezwungen, unwirtschaftlich
mit Ihren Leistungen umzugehen. Aber Ihnen hört ja leider niemand
zu.
Und weil Ihnen niemand zuhört, lassen Sie Ihren Frust über
die ganze eingangs geschilderte Situation ab. Gemeinsam mit Flüchtlingen,
die noch Sachleistungen erhalten müssen, protestieren Sie gegen das,
was Sie als erneute Benachteiligung empfinden. Ganz falsch. Denn nun bekommen
Sie zu hören, die Verweigerung von Bargeld sei gerechtfertigt, weil
Sie dagegen protestieren. Dass die ursprüngliche Begründung für
die Sachleistungen lautete, es könne zu Konflikten zwischen Sach-
und Barleistungsempfängern kommen, interessiert nicht mehr. Die Tatsache
allein, dass es zu Protesten “vor dem Hintergrund der Geldleistung” kommt
(man bemerke die bewusst ungenaue Formulierung!), reicht schon aus.
Um zu zeigen, wie ernst es Ihnen mit Ihrem Protest ist, verweigern
Sie die Annahme der Essenspakete bzw. den Einkauf im Magazin. Sie wollen
Gerechtigkeit, und sei es auch um den Preis, dass Sie einen leeren Magen
haben. Auch falsch. Denn nun kommt der Gipfel der argumentativen (Un-)Logik
im ministeriellen Brief: die “Leistungsannahmeverweigerung” weckt “Zweifel
an der Bedürftigkeit”: d.h. wer einen Hungerstreik beginnt, dokumentiert
damit, dass er keine Lebensmittel braucht! Es geht ihm eigentlich noch
viel zu gut. Am liebsten würden Sie als Betroffener nun laut losbrüllen,
aber Sie wissen ja, es hört niemand von den Verant-wortlichen zu.
Sehr geehrter Herr Bannasch, Sie wollten Ihren Brief wohl als Zeichen
guten Willens verstanden wissen und sind jetzt verstimmt über so viel
Empörung. Aber können Sie sie jetzt wenigstens verstehen?
Mit freundlichen Grüßen