Forderungskatalog des Flüchtlingsrates Leipzig
e.V. bezüglich Anordnung und Vollzug der Abschiebehaft im Freistaat
Sachsen
Die Abschiebehaftgruppe beim Flüchtlingsrat Leipzig e.V. besucht
seit fünf Jahren Abschiebehäftlinge in der
JVA Leipzig und dem Justizvollzugskrankenhaus. Die Arbeit in der Abschiebehaft
hat uns in unserer Gewißheit
bestärkt, daß Abschiebehaft zum einen unmenschlich und zum
anderen überflüssig ist und somit ersatzlos
abgeschafft werden sollte.
Allerdings sind wir realistisch genug zu wissen, daß sich diese
Forderung zur Zeit nicht umsetzen läßt.
Demzufolge bemühen wir uns, Abschiebehäftlingen in der JVA
beizustehen und Ihnen zu helfen, bei den
verantwortlichen Behörden und Institutionen auf eine Verbesserung
der Haftbedingungen zu drängen und die
Öffentlichkeit über die Situation der Abschiebehäftlinge
aufzuklären. Vor diesem Hintergrund sind die
folgenden Forderungen zu verstehen.
Diese Forderungen sind weder neu noch spektakulär. Ähnlich
wurden sie schon von diversen Anwalts- und
Richtervereinigungen, Kirchen, Gewerkschaften, Parteien, Flüchtlingsorganisationen
und anderen Institutionen
erhoben. Wir beziehen uns mit unseren Forderungen z.B. auf die Forderungen,
die der Sächsische Bischof der
Ev.-Luth. Kirche schon im Jahr 1996 erhoben hat (siehe Flucht und Asyl
- Zeitschrift des Flüchtlingsrates
Leipzig e.V., Nr. 5).
Haftanordnung
Abschiebehäftlinge können bis zu 18 Monaten inhaftiert werden,
ohne einer Straftat schuldig gesprochen zu
sein oder derer verdächtigt zu werden. Ihre Inhaftierung soll
nur den Vollzug einer Verwaltungsmaßnahme, der
Abschiebung, erleichtern. Ein Abschiebehäftling hat nach der Anordnung
der Haft kaum Möglichkeiten, gegen
die Haft juristisch vorzugehen. Ein Haftprüfungstermin, wie er
bei U-Häftlingen Anwendung findet, ist für
Abschiebehäftlinge ebensowenig vorgesehen wie ein Pflichtverteidiger.
Demzufolge wäre eigentlich davon
auszugehen, daß Abschiebehaft nur im Ausnahmefall angeordnet
wird und bei der Anordnung durch das
Amtsgericht eine sehr sorgfältige Prüfung stattfindet, ob
die Haft wirklich notwendig ist.
Jedoch ist das Gegenteil der Fall: Im 10-Minuten-Takt werden die Abschiebehaftbeschlüsse
verfaßt, die
gesetzlich vorgesehene Anhörung findet de facto nicht statt. Den
Angaben in den Anträgen auf Anordnung der
Abschiebehaft wird zu oft ungeprüft Glauben geschenkt.
Deshalb fordern wir bei der Anordnung der Abschiebehaft:
- Durchführung der Anhörung gemäß der gesetzlichen Vorgaben, die auch eine Anhörung des Betroffenen und von Familienangehörigen bzw. gesetzlich Bevollmächtigten beinhalten.
- Übersetzung des Haftantrags und Haftbeschlusses in die jeweilige Landessprache und schriftliche Ausfertigung der Übersetzung.
- Eine umfangreiche Rechtsmittelbelehrung durch die Amtsgerichte bei der Anhörung in der jeweiligen Landessprache. Die Abschiebehäftlinge sollten auf die Möglichkeit anwaltlichen Beistandes hingewiesen werden und Einsicht in eine Adressenliste der ortsansässigen Anwälte erhalten.
- Gewissenhafte Prüfung bei der Beantragung von Prozesskostenhilfe durch Abschiebehäftlinge und Hinweis bei der Anordnung der Haft auf die Möglichkeit, diese zu beantragen.
- Ausführliche Begründung der Haftbeschlusses, der sich nicht auf § 57 Abs. 2 V AuslG zurückzieht ("begründeter Verdacht", dass sich der Abschiebehäftling der Abschiebung entziehen will), ohne dies näher zu belegen.
- Strikte Einhaltung des Gebotes der Verhältnismäßigkeit bei der Festlegung der Haftdauer, die im Regelfall bei der Erstanordnung nicht mehr als einen Monat betragen sollte.
- Verlängerung der Abschiebehaft nur nach gründlicher Einzelfallprüfung.
- Nach Stellung eines Asylerstantrages sollte der Ermessensspielraum dahingehend ausgeschöpft werden, dass der betreffende Abschiebehäftling freigelassen wird.
- Sofortige Freilassung von Abschiebehäftlingen, wenn eine Verzögerung der Abschiebung der Ausländerbehörde anzulasten ist.
- Die Ausländerbehörden sollen bei der Bearbeitung von Abschiebehaftverfahren gegenüber den Anwälten der Abschiebehäftlingen und Gerichten ihre Bemühungen konkret belegen können.
- Keine Inhaftierung von kranken, selbstmordgefährdeten Personen sowie von Kindern und Jugendlichen.
- Beschleunigte Prüfung der (Weiteren) Sofortigen Beschwerden vor dem Landgericht bzw. OLG. Beschwerden sollten nicht durch Ablauf der Haft (und Verlängerung) erledigt werden können.
Wünschenswert wäre ein Erlaß des Sächsischen Innenministeriums,
der sich an ähnlichen Erlassen anderer
Bundesländer anlehnt. In solchen vergleichbaren Erlassen wird
z.B. geregelt, daß bestimmte Personenkreise
nicht in Abschiebehaft zu nehmen sind und daß Abschiebehaft in
der Regel für maximal sechs Monate
angeordnet werden soll.
Haftbedingungen
In Sachsen gibt es keine Gesetze oder Verordnungen zum Vollzug der
Abschiebehaft. Dies wirkt sich
allerdings nicht zugunsten der Abschiebehäftlinge aus. Ganz im
Gegenteil unterliegen sie den härtesten
Haftbedingungen, die juristisch gerade noch möglich sind.
Abschiebehäftlinge werden in Sachsen größtenteils zusammen
mit U-Häftlingen untergebracht, die einem
strengeren Haftregime als Strafgefangene unterliegen. Wir sind allerdings
der Meinung, daß der Vollzug der
Abschiebehaft so freizügig wie möglich gestaltet werden sollte
und in jedem Fall eine Besserstellung
gegenüber Straf- oder U-Gefangenen stattzufinden hat, da Abschiebehäftlinge
nicht bestraft werden sollen
bzw. keine Vertuschungs oder Verdunklungsgefahr besteht, sondern sie
lediglich bis zu ihrer Abschiebung
festgehalten werden sollen. Das betrifft vor allem folgende Bereiche:
- Keine gemeinsame Inhaftierung mit U-Häftlingen bzw. räumliche Trennung innerhalb der JVA, die auch eine unterschiedliche Behandlung problemlos ermöglicht.
- Großzügige Besuchsregelungen.
- Unbeschränkter Zugang zu Kommunikationsmöglichkeiten, wie Telefon, Post, Zeitung, Radio.
- Ganztägiger Aufschluss (vor- und nachmittags, mehrere Stunden).
- Erleichterte Übergabe von Lektüre, Bekleidung, Lebensmitteln, Geld durch privaten Besuch bzw. ehrenamtliche Betreuerinnen.
- Bessere soziale und psychologische Betreuung durch das Anstaltspersonal.
- Fortbildungs- und Sprachkurse für die SozialarbeiterInnen, Ärztinnen und PsychologInnen in der JVA, um besser auf die besonderen Bedürfnisse und Umstände von ausländischen Gefangenen eingehen zu können. Insbesondere bei den SozialarbeiterInnen wäre eine Fortbildung auf dem Gebiet des Ausländer- und Asylrechts sinnvoll.
- Erleichterte Zugangsmodalitäten für ehrenamtlich tätige Personen oder Organisationen, die Abschiebehäftlinge betreuen wollen.
- Verbesserte Möglichkeiten der Beschäftigung für Abschiebehäftlinge in der JVA auf freiwilliger Basis (Arbeit, Unterricht, Sport, Veranstaltungen, Kurse).
- Rechtzeitige Ankündigung der Abschiebung (10 Tage vorher). Die Mitnahme der persönlichen Habe des Abschiebegefangenen, auch wenn sie sich nicht in der JVA befindet, ist zu gewährleisten.
- Ernstnehmen der Abschiebehäftlinge bei gesundheitlichen und psychologischen Problemen.
- Hinzuziehen von Dolmetschern bei wichtigen Fragen und Problemen.
Auch für diesen Komplex wäre ein Erlaß des Justiz- oder
Innenministeriums wünschenswert.
Zum Anfang dieser Seite
Diese Seite wurde aktualisiert am 20.01.2020