![]() Zur Startseite |
Nr. 14, Dezmber 2000 |
AUSSTELLUNG
Ausschnitte aus der Ansprache von Oberbürgermeister Wolfgang Tiefensee zur Ausstellungseröffnung „Fremde in Deutschland – Deutsche in der Fremde“ am 17. September 2000
(...) „Angst vor dem Fremden“. Man kann diesem Thema mindestens
auf zweierlei Weise begegnen, einmal über Erfahrung (...), zum anderen
mit Aufklärung. Ich habe im Vorfeld zur Ausstellung in Ihrem Katalog
geblättert. (...) Das Fremde ist, so steht dort sinngemäß
geschrieben, die Regel und nicht die Ausnahme.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, zwei Zahlen mögen dies belegen.
Ist Ihnen bewusst, dass in Europa von der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg
bis zum Jahre 1989 ungefähr 80 Millionen Menschen unfreiwillig ihren
angestammten Lebensort verlassen mussten und woanders Herberge gesucht
haben? Oder ist Ihnen bewusst, dass in der Bundesrepublik Deutschland von
1945 bis 1989 20 Millionen Menschen angekommen sind (...)? Diese Zahlen
belegen, von welcher Aktualität unser heutiges Thema ist. (...)
Wenn ich vorhin von den Selbstverständlichkeiten gesprochen habe
- von den 60 Millionen und von den 20 Millionen - dann ist dieses „die
Fremden kommen an“ zwar eine Tatsache, ein anderes ist es aber auch, dass
die Einheimischen durch alle Zeiträume immer wieder Probleme hatten,
die Fremden aufzunehmen. (...) Wir müssen einen Weg finden (...),
dass das Fremde in unserer Stadt Heimat hat, ohne seine Kultur, Religiosität
oder seinen Lebensstil zu verlieren. Diese Spannung auszuhalten ist die
große Herausforderung unserer Zeit. Ist es ein zu kühner Gedanke,
ist es zu visionär, wenn man sich vorstellen könnte, Frau Beck,
dass wir in einer Charta aller Menschenrechte, in einem Grundwertekatalog
das Grundrecht auf Einwanderung verankert hätten? Das wird sicherlich
nicht so schnell zu machen sein, aber zweierlei ist unabdingbar: das Aufnehmen
im Alltag, das konkrete Anhören des Einzelnen und die politische Anstrengung
aller Institutionen, von Kirchen und Parteien, dass die Rahmenbedingungen
geschaffen werden, um in dieser Frage voran zu kommen. (...)
Sehr geehrte Damen und Herren, wir sind dieser Tage konfrontiert mit
einem Phänomen, dem Phänomen eines wieder erstarkenden Rechtsextremismus,
das uns mit tiefer Sorge erfüllen muss. (...) Wir müssen uns
bewusst machen, dass wir es dieser Tage möglicherweise nur mit der
Spitze eines Eisberges zu tun haben. Wie viele der schweigenden Menge applaudieren
innerlich? Wie viele fühlen das ausgesprochen, was sie eigentlich
gern ausgesprochen haben wollen? Dies alles ist beileibe nicht nur ein
jugendpolitisches Phänomen. (...) Das, was wir heute suchen, was wir
im Alltag praktizieren wollen, die Offenheit zum Fremden, ist genauso wichtig
wie die Forderung, über die Probleme im Umgang miteinander offen zu
sprechen. Ich erinnere mich sehr genau an das (...) Wort von Johannes Rau,
der sinngemäß gesagt hat: nicht nur Fremdenfeindlichkeit ist
gefährlich, sondern auch - mit meinen eigenen Worten - eine falsch
verstandene Fremdenfreundlichkeit, die den Teppich über die Probleme
deckt (...)